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Gertrud Grimme

“Beim Pfarrer trägt das Amt die Person, bei der Theologin trägt die Person das Amt“

Ein Beitrag von Heidemarie Wünsch

Gertrud Grimme Copyright: Konvent Ev. Theologinnen in Deutschland (archiviert beim Ev. Zentralarchiv/Berlin; Bestandsnummer 246)

Lebensdaten:

1909 - 2005


Beziehungen

Gertrud Grimme wurde als ältere von zwei Töchtern der Eheleute Grimme am 21. Dezember 1909 in Lüdenscheid geboren. Der Vater, Wilhelm Grimme, ursprünglich aus Bielefeld, war als Handlungsgehilfe nach Lüdenscheid gekommen, die Mutter Gertrud Emma als Tochter eines Kolonialwarenhändlers dort aufgewachsen. Die Familie verließ nach Gertruds Geburt zunächst Lüdenscheid, sodass die Schwester Anneliese 1911 in Württemberg geboren wurde. Vier Jahre alt war Gertrud Grimme, als der erste Weltkrieg ausbrach und der Vater eingezogen wurde. Sie hat ihn nach Kriegsausbruch nur noch zweimal wiedergesehen, er wurde1917 tödlich verwundet. Die Mutter war mit den Töchtern bereits 1915 nach Lüdenscheid zurückgekehrt, wo sie dann als „Abteilungsleiterin“ berufstätig war.

Lüdenscheid, Zentralort im Märkischen Sauerland mit damals gut 30.000 Einwohnern, war von Familienbetrieben der metallverarbeitenden Industrie geprägt. Lüdenscheid war auch kirchlich besonders geprägt. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts hatten sich freikirchliche Gemeinden entwickelt, aber auch starke innerkirchliche Verbände wie der CVJM oder das Blaue Kreuz. Gertrud Grimme ist sozusagen in Nachbarschaft „unter dem Turm“ der Christuskirche  aufgewachsen, ein Onkel gehörte einer Freikirche an. Ihr Konfirmator war 1933 einer der Mitbegründer der Ortsgruppe der Deutschen Christen, der zweite Pfarrer ein Förderer der religiösen Sozialisten. (Für detaillierte Informationen zu Getrud Grimmes Familie und zu Lüdenscheid danke ich Herrn Hartmut Waldminghaus, Lüdenscheid). Sie selbst war seit der Konfirmation Mitglied im MBK (Mädchenbibelkreis.) Die Theologin Gertrud Grimme sagte später: „Mindestens zwölf verschiedene Menschen haben mir Glaubensunterricht erteilt: Pietisten, Fundamentalisten, auch liberale Pfarrer und Religionslehrer, sogar ein Theosoph (in der Obersekunda)“ (Grimme 1990: 9). Nachdem sie durch einen Pfarrer gehört hatte, dass auch Mädchen Theologie studieren könnten, war ihr Entschluss schnell gefasst nach dem Abitur am Oberlyzeum Lüdenscheid 1930 Theologie zu studieren – seit 1928 konnten Mädchen dort die Hochschulreife erwerben. Die Unklarheit über den zukünftigen Beruf war ihr bewusst. Sie dachte an unterrichtliche Tätigkeit.

Im April 1935 zog die Mutter nach Hamm um. Gertrud, die wenige Tage später das Erste Theologische Examen ablegte, wohnte mit Hauptwohnsitz bei ihr. Als die Mutter 1957 verstarb, hinterließ sie ein kleines Erbe, von dem sich Gertrud Grimme und ihre Schwester, die als Säuglingsschwester an verschiedenen Orten tätig war, ein Haus in Villigst bauen konnten. Die Schwestern blieben zeitlebens eng verbunden. Im Ruhestand, im Jahr 1974, zogen sie ganz bewusst an einen neuen Ort, nach Wangen im Allgäu, kehrten aber nach 7 Jahren zurück und wohnten und lebten bis zu ihrem Tode im Wohnstift Augustinum in Dortmund. Gertrud Grimme starb am 11. November 2005.

Das Theologiestudium hat sie in Bethel begonnen und in Erlangen, Münster und Tübingen fortgesetzt, ehe sie nach Bonn ging, wo sie in ihren letzten Semestern den Beginn des Einflusses der Nationalsozialisten erlebte. Sie wurde nachhaltig geprägt durch Karl Barths unerschrockenes Auftreten und durch seine Theologie. „Uns hat er immer wieder eingeschärft: studieren, studieren! Damit erweist ihr der Kirche in dieser Zeit den besten Dienst“, erinnert sie sich (vgl. Grimme: Erinnerungen) – aber ebenso an einen Aufmarsch, bei dem Barth es geschickt vermied, die Fahne zu grüßen sowie an ein studentisches Kabarett „Kirchenkampf“ im Hause Barth. 1934 gehörte sie mit anderen ehemaligen Betheler Studentinnen zu den Unterzeichnerinnen eines Protestes gegen die Schließung der Hochschule für Studentinnen. Sie selbst war von der Durchsetzung des nationalsozialistischen Frauenbildes auch persönlich betroffen, insofern, als ihre Heimatstadt Lüdenscheid die Zahlungen des Studiendarlehens einstellte und sie nach dem Examen das bereits erhaltene Darlehen voll zurückzahlen musste, was sonst nicht üblich war.

Zum Verband Evangelischer Theologinnen (gegr. 1925) hatte sie schon während des Studiums Kontakt. Nach ihrem Ersten Theologischen Examen 1935 trat sie dem Verband bei und gehörte zur Landesgruppe Westfalen (später Westfälischer Theologinnen Konvent), die 1934 gebildet worden war. Fünfzig Theologinnen stehen auf der Liste (fünf Vikarinnen mit 2. Examen, eine Diakonisse, vier entlassene verheiratete Theologinnen, elf Lehrvikarinnen [1. Examen] sowie Studentinnen). Die Vertrauensvikarin Maria Weller wurde zur Vertreterin der Interessen der Vikarinnen gegenüber Provinzialsynode und Kirchenleitung. Die jährlichen Treffen waren wichtig für den persönlichen und dienstlichen Austausch der doch recht allein stehenden Vikarinnen. Auch Informationen über Anstellungsmöglichkeiten waren wichtig – seit 1927 konnten sie zwar in der Kirche tätig werden, aber nur mit privatrechtlichen Verträgen. Beim Treffen am 23. November 1936 im Mutterhaus Münster ging es um das Thema „Mutterhausdiakonie“ und um die Findung eines eigenen Berufsbildes im Austausch mit Diakonissen. Im Protokoll dieser Zusammenkunft hat Gertrud Grimme die Argumente der verschiedenen Referate detailliert wiedergegeben, im Schlusssatz resümiert sie: „Die Schaffung eines solchen Amtes innerhalb der Mutterhausdiakonie für die Theologinnen könnte auch das Gebundensein, das ‚unter dem Schleier stehen‘ (G.v.le Fort) der Frau stärker zum Ausdruck bringen als ein dem männlichen Pfarramt entsprechendes Vikarinnenamt. Damit wäre die Ordnung die auch innerhalb der Gemeinde für Mann und Frau gilt (vorläufig, für unsere Situation) gelöst, indem für die Bindung der Frau an den Mann, die in der Ehe unbedingt gilt, eine andere Bindung eintritt, die vielleicht auch Gal.3,28f und die echte Freiheit der Frau deutlich machen könnte“ (Gertrud Grimme im Rundbrief an alle westfälischen Theologinnen von Maria Weller vom 22. April 1937). Es gab aber unter den Vikarinnen auch damals die Position, die vor einem besonderen Amt „sui generis“ für Frauen warnte. Auch Katechetik war ein wichtiges Thema der Treffen, war doch der Unterricht für Mädchen neben Frauenarbeit ein mögliches Arbeitsfeld für Theologinnen. Referentin war hier immer wieder Christine Bourbeck. Auch kirchenpolitische Themen waren wichtig. Nach Diskussion eines ausführlichen Statements der Theologiestudentin Gerda Bertram beschloss der Konvent 1936, geschlossen der Bekennenden Kirche beizutreten.

Als kriegsbedingt die jährlichen Treffen ausfielen, haben die Rundbriefe der Vertrauensvikarin den Kontakt untereinander aufrechterhalten.

Gertrud Grimme ist immer Mitglied des Konventes geblieben. Seit einer gemeinsamen Israelreise in den 60er Jahren verband eine gute Freundschaft Gertrud Grimme und die gut 20 Jahre jüngere Kollegin Sabine Haußner, von 1974 bis 1982 eine der beiden Vorsitzenden des westfälischen Konventes. Sabine Haußner spricht von einem Mutter-Tochter-Verhältnis. Nach Gertrud Grimmes Pensionierung und Rückkehr nach Westfalen im Jahre 1981 hat sie sie regelmäßig besucht. Als eine der wenigen älteren Theologinnen ist Gertrud Grimme in dieser Zeit nach Möglichkeit zu den Konventstreffen gegangen, die nun von Fragen und Themen der jungen Kolleginnen geprägt waren. Sie war daran interessiert. So erklärte sie sich im Jahr 1984 zur Teilnahme an einer Arbeitsgruppe bereit, die eine Stellungnahme zu einem Flugblatt der Initiative junger Theologinnen zum Thema „Teilzeit für Pfarrerinnen“ für die Kirchenleitung erarbeiten sollte. Auch zur Jubiläumsveranstaltung anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Konventes Evangelischer Theologinnen in Deutschland (ursprünglich Verband s.o.) 2000 in Marburg kam sie und sprach, 91-jährig, ein Grußwort.

Die jungen Theologinnen, wie die Berichterstatterin Anja Petereit (vgl. Petereit 2000: 34; auf S. 31 auch ein Foto, wie Gertrud Grimme unkonventionell den Segen mit-teilte) beeindruckte sie mit ihren z.T. selbstkritischen Bemerkungen zu den Anfängen: „[...] und wir hatten noch nicht gelernt zu kämpfen. Daher standen wir auch in der Gefahr, uns ein gewisses Selbstmitleid zu erlauben“ (Petereit 2000: 34). Es habe damals für Arbeit von Frauen in der Kirche eigentlich nur zwei Leitbilder gegeben: das der ehrenamtlich arbeitenden Pfarrfrau und das der Diakonisse. Und so erinnerte sie in ihrem Grußwort auch an das o.g. Treffen, bei dem die Oberin gerügt habe:„Ihr Theologinnen seid ja nicht demütig genug, sonst würdet ihr Diakonissen werden! […] Einige von uns wurden dann auch Diakonissen [...]“ und unter dem Lachen der Versammlung fügt sie an: „Wohl aber weniger aus Demut als aus dem Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit eines Mutterhauses“ (Petereit 2000: 34).

Bereits in ihrem Vikariat war die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Gertrud Grimmes Arbeitsfeld, und die Bedeutung dieser Arbeit war ihr bewusst. Nach dem Krieg wurde in Villigst von ihr das Katechetische Institut zunächst für den westlichen Teil der Landeskirche aufgebaut. Die Evangelische Kirche von Westfalen hatte das traditionsreiche „Haus Villigst“ bei Schwerte an der Ruhr übernommen und wollte es zu einem kirchlichen Zentrum ausbauen, an dem Ämter ihren Sitz haben und Veranstaltungen organisieren sollten. Zuerst kam die Ev. Studienstiftung Villigst dorthin, deren erster Leiter der Dichter Willy Kramp war. Neben dem Katechetischen Amt, vertreten durch Gertrud Grimme, wurde bald auch das Sozialamt mit seinem ersten Leiter Klaus von Bismarck angesiedelt. Mit den Familien dieser Kollegen und der wachsenden Schar der Mitarbeitenden ergab sich bald ein sehr freundschaftliches Verhältnis. „Da ich einige Jahre als einzige Theologin unter den Laienmitarbeitern lebte, wurde ich neben der katechetischen Arbeit in mancherlei Hinsicht gefordert: Ich hielt Bibelstunden, Hausandachten, Kindergottesdienst. Besonders beglückend war die ‚Frühstücksbibelstunde‘ mit dem Leitungskreis. Wir frühstückten gemeinsam reihum in den Häusern und besprachen anschließend einen Bibeltext“ (Grimme 1990: 25), schreibt sie in ihren Erinnerungen. Ruth Alice von Bismarck schrieb ihr zu ihrem 50. Ordinationsjubiläum am 25. September 1988: „Aber Villigst wäre nie geworden, was es war und ist, ohne daß am Beginn das geistliche Amt von einer Frau wahrgenommen worden wäre […]. Die Männer, die im Krieg gelernt hatten, von der Verantwortung her zu leben, konnten nur durch eine geistliche Verantwortung von ihren Verwundungen geheilt werden. Einer männlichen Autorität hätten sie sich nicht gebeugt […]“ (Grimme 1990: 25). Auch privat traf man sich. Unter Leitung Kramps, der später sein Amt aufgab und als freier Schriftsteller in Villigst wohnte, gab es einen Literaturkreis. Feste fanden oft im Hause Grimme statt, als später das Häuschen errichtet war. Besonders gern lud Gertrud Grimme zu Festen mit Kindern ein, aber auch an Weiberfastnacht erinnerte sie sich gern. Als die Villigster Kirche gebaut war, traf man sich nach dem Gottesdienst zwanglos zum Predigtnachgespräch (damals noch ein absolutes Novum) bei einer Tasse Kaffee irgendwo in einem der Häuser. Denn nicht nur Gertrud Grimme hatte inzwischen ein Privathaus auf der Anhöhe über der Ruhr gebaut, die Landeskirche hatte Mitabeiterhäuser und Bürohäuser für einige Ämter errichtet, sodass der Berg über der Ruhr bald ganz von „Haus Villigst“ bewohnt war und den Spitznamen „Heiliger Berg“ bekam. Kein Wunder, dass der Abschied von Villigst Gertrud Grimme sehr schwer fiel.

In der Kirchenkanzlei der EKD in Hannover hat sie diese menschliche und persönliche Nähe und Gemeinschaft nicht gespürt, auch wenn sie gern dort gewesen und erfolgreich gearbeitet hat. „Ich habe gern in der Kirchenkanzlei gearbeitet, aber das Leben in Hannover war grundverschieden von dem in Villigst. Mir fehlte die tragende Gemeinschaft, auch die einer Ortsgemeinde und einer Landeskirche. Das alles konnte die Hausgemeinschaft der Kirchenkanzlei, die auch Hausandachten und gelegentliche Feste kannte, nicht ersetzen. Sie konnte diesen Mangel höchstens ein wenig mildern“ (Grimme 1990: 41).

Im Allgäu, wo sie die erste Zeit ihres Ruhestandes verbachte, war sie als Pfarramtsvertretung gern gesehen und hat sich wohl und akzeptiert gefühlt in der Diasporagemeinde. Auch im Augustinum in Dortmund hat sie gern Dienste übernommen – und sich über Glückwünsche und Besuche zu Geburtstagen und Jubiläen gefreut. „Dass meine Heimatkirche mich nicht vergisst […]!“ sagte und schrieb sie sehr oft, aber auch: „Man muss sie auch mal von außen sehen.“

Wirkungsbereich

Ihre erste berufliche Tätigkeit begann 1936 im Gemeindevikariat in Iserlohn. Ihr Vikariatsvater, Pfarrer lic. Randenborgh wusste nach ihrem eigenen Bekunden nicht viel mit ihr anzufangen. Eine ihrer Aufgaben war die Mitarbeit an der Redaktion eines westfälischen Gemeindeblattes, das seine Frau herausgab und ihr bald die Hauptverantwortung übertrug. Gertrud Grimme bezeichnet das als erste Weichenstellung ihrer Berufstätigkeit. Der redaktionellen und literarischen Arbeit blieb sie fortan treu. Die zweite Weichenstellung war wohl noch wichtiger: Die zunehmende Beeinflussung des Religionsunterrichtes durch die Nationalsozialisten machte hellsichtigen Menschen deutlich, dass die Kirche den oder einen Religionsunterricht bald selbst in die Hand nehmen müsse, wozu aber ausgebildete Lehrkräfte fehlten. Die Theologin Christine Bourbeck, die eine evangelische Höhere Mädchenschule in Leipzig leitete, konnte mit Hilfe der Inneren Mission dreimonatige Lehrgänge einrichten, in denen Diakone, Diakonissen, Kindergärtnerinnen und junge Theologinnen eine katechetische Zusatzausbildung erhielten. Gertrud Grimme, die zunächst Teilnehmerin eines Kurses war, wurde bald Bourbecks Assistentin.

Anstelle des Predigerseminars, das für Frauen nicht offen war, arbeitete Gertrud Grimme im Jugendpfarramt in Hagen, wo sie ihr Gelerntes praktisch anwenden konnte: Sie organisierte die neu entstehende Christenlehre, arbeitete in der Redaktion der Jugendbeilage des Gemeindeblattes und machte Jugendarbeit.

Ihr Zweites Theologisches Examen am 19. Mai 1938 und auch ihre Ordination waren schon geprägt durch die kirchenpolitischen Wirren der Zeit. Es war dem Bruderrat zugesagt worden, dass die mündliche Prüfung vorm Konsistorium, aber von Mitgliedern der Bekennenden Kirche und der Hochschule Bethel abgenommen werden sollte. Das Konsistorium war jedoch nicht vertreten, sodass sie eine Nachprüfung hätte machen müssen, um die Anstellungsfähigkeit zu erlangen.

Ob Gertrud Grimme am 25. September 1938 in Hagen eingesegnet oder ordiniert wurde, bleibt fraglich. Rechtlich konnten Vikarinnen nur eingesegnet werden wie andere kirchliche Mitarbeiter auch, aber der Vertreter des Bruderrates der Bekennenden Kirche Lic. Pfarrer von Randenborgh verwendete versehentlich das Formular für die Ordination.

Wegen fehlender offizieller Anstellungsfähigkeit wurde Gertrud Grimme von der Inneren Mission in Hagen angestellt in einer Stelle und zum Gehalt einer Gemeindehelferin; an ihrer Arbeit als solcher änderte sich damit gegenüber dem Lehrvikariat vorerst nichts. Mit Kriegsbeginn wurde das anders. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit verschob sich immer mehr in Richtung Katechetik – die Nachbarkirchenkreise erbaten ihre Hilfe. Die Jugendbeilage des Gemeindeblattes wurde verboten, aber auf der Titelseite schrieb sie jede Woche eine Kolumne: „Meines Kindes Sonntagsevangelium“ und erzählte eine biblische, auch alttestamentliche Geschichte.

Als der Hilfsprediger der kleinen Gemeinde Dahl zum Militär eingezogen wurde, übertrug ihr der Bruderrat die dortige Arbeit – neben ihrer eigenen in Hagen. Und Gertrud Grimme ist damit ein gutes Beispiel dafür, wie die Vikarinnen während des Krieges die volle pfarramtliche Tätigkeit übernahmen. Sie schreibt: „Eines Tages kam der Bruderrat der Dahler Gemeinde zu mir: ‚Warum halten Sie nicht auch die Abendmahlsfeiern? Sie kennen uns; Sie halten unsere Gottesdienste und die Bibelstunden, Sie unterweisen unsere Kinder und besuchen die Kranken. Warum muß für die Abendmahlsgottesdienste ein fremder Pfarrer kommen?‘ Ich erklärte ihnen die gesetzliche Lage und bat sie, mit dem Bruderrat des Kirchenkreises zu sprechen. Von da ab hielt ich regelmäßig Abendmahlsgottesdienste“ (Grimme 1990: 17) – und bald auch Amtshandlungen. Und nachdem immer mehr Pfarrer eingezogen wurden, wurde ihr zusätzlich die Pfarrstelle Zurstraße übertragen. In dieser Zeit fühlte sie das Bedürfnis, nicht nur eigenverantwortlich tätig zu sein, ohne Rückendeckung durch eine Kirchenleitung und setzte sich mit dem Bruderrat in Verbindung. Von dort wurde sie an Präses Koch verwiesen. Sie meldete sich doch noch zur Nachprüfung an und ließ sich „legalisieren“.

1943 gab es eine Unterbrechung in ihrer gemeindlichen Tätigkeit. Man hatte begonnen, Kinder aus den Ruhrgebietsstädten, die durch Bomben besonders bedroht waren, mit ihren Lehrern auszuquartieren. Dadurch musste die Christenlehre eingestellt oder aber verlegt werden. Gertrud Grimme wurde zusammen mit Grete Schönhals und einem Pfarrer – „der natürlich die Leitung hatte“, so Grimme – nach Ostpommern geschickt, wo sie die beteiligten Katecheten berieten, aber auch selbst unterrichteten. Nach gut einem Jahr kehrten alle, auch die Kinder nach Hagen zurück. Dort erlebte Gertrud Grimme vor Kriegsende nicht zum ersten Mal, dass sie ausgebombt wurde, aber in Dahl bei Gemeindegliedern unterkam. Gern wäre sie in der ihr vertrauten Gemeinde Pfarrerin geworden, aber wie überall wurden die Vikarinnen nach dem Krieg wieder in ihre Schranken verwiesen. Immerhin ist es Gertrud Grimmes Einsatz zu verdanken, dass nicht der deutschchristliche Superintendent Hagens nach dem Krieg in diese Pfarrstelle kam. Sie fuhr zu einem Gespräch im Konsistorium mit dem Fahrrad (ca. 80 km) nach Münster.

Für sie begannen dennoch erfüllte Jahre, eben die zwanzig „Villigster Jahre“ – 1946 bis 1966. Als nach dem Krieg die Schulen wieder öffneten, gab es selbstverständlich wieder Religionsunterricht, aber kaum noch Lehrer mit Fakultas. Gertrud Grimme wurde beauftragt, eine katechetische Arbeit im Regierungsbezirk Arnsberg, zu dem neben Sauerland und Siegerland auch das ganze Ruhrgebiet gehört, aufzubauen. Etwas später entstand eine ähnliche Arbeit für Ostwestfalen in Jöllenbeck. Sie konzipierte vierwöchige Kurse in kirchlichen Häusern, für die Lehrer und Lehrerinnen beurlaubt wurden. Sie erinnert sich: „Die Leitung der Kurse hatte offiziell natürlich ein Mann. Er kam zweimal in der Woche für je zwei Stunden. Bei den Prüfungen führte er den Vorsitz“ (Grimme 1990: 23). Und so wurde später auch Ernst Kleßmann erster Leiter des Katechetischen Amtes, als die beiden Ausbildungsgebiete in Villigst zusammengefasst wurden. Aber die eigentliche Leitungsfigur war Gertrud Grimme, darin waren sich alle einig: Lehrer, Kollegen, Schulbehörde und wohl auch Kirchenleitung. Sie war selbstbewusst genug, über manches hinwegzusehen, aber nicht über alles. „Als 1964 das Pastorinnengesetz verabschiedet wurde und am 1.1.1965 aus der ‚Frau Vikarin‘ eine „Frau Pastorin“ geworden war, redete mich plötzlich einer unserer Villigster Pastoren mit ‚Schwester Grimme‘ an – unter Bezugnahme auf dieses Gesetz. Da erst wurde mir bewußt, daß ich vorher nie ‚Schwester Grimme’ gewesen war. Seitdem habe ich eine tiefe Abneigung gegen die ‚Bruder’- und ‚Schwester’-Anrede“ (Grimme 1990: 24).

(Buchcover des Buches von Gertrud Grimme; Freut euch, ihr lieben Christen. Evangelisches Religionsbuch für die Grundschule mit Bildern von S. Baumann-Senn, Dortmund 1967)

Gertrud Grimme ist eine der profiliertesten VertreterInnen eines neuen Konzeptes von Religionsunterricht, der stark von der Theologie Karl Barths geprägt war, der „Evangelischen Unterweisung“. Der Religionsunterreicht soll die Kinder nicht lehren, er ist Verkündigung der frohen Botschaft. Sie hat ein Unterrichtswerk zu diesem Unterricht bearbeitet und selbst ein Religionsbuch erarbeitet, das sehr lange in Nordrhein-Westfalen obligatorisch war: „Freut euch ihr lieben Christen.“ Passend für diesen Unterricht wurde – zumindest in der westfälischen Kirche – auch eine feierliche Vokation für Lehrer und Lehrerinnen eingeführt. In einem Vokations-Gottesdienst, der an Einsegnung erinnert, wurde ihnen die Beauftragung und Berufung für den Religionsunterricht zugesprochen.

1966 wurde Gertrud Grimme in die Kirchenkanzlei der EKD in Hannover berufen und war die erste hauptamtliche theologische Oberkirchenrätin. Auch auf der neuen Stelle setzte sie sich mit großem Elan ein. Sie war zuständig für die Bereiche: Frauenarbeit, Aus- Fort- und Weiterbildung kirchlicher Mitarbeiter (ausgenommen Theologen) und Seelsorge an besonderen Gruppen (ausgenommen militärische Verbände und Polizei).

Es gab viel Schreibtischarbeit, viele aufreibende Sitzungen, auch viele Reisen – die ersten ökumenischen Kontakte hatte sie bereits in Villigst gehabt. Aber sie entdeckte auch Schwachstellen oder neue Aufgaben in ihren Bereichen, die sie energisch anging.

Das eine war die Situation der Frauen im mittleren Lebensalter, die nach einer intensiven Familienphase Schwierigkeiten hatten, in den Beruf zurückzukommen oder ganz neu eine Tätigkeit aufzunehmen. Das neue Modell „Fernstudium“ und die Erinnerung an die Mutterhausdiakonie, die unverheirateten Frauen im 19. Jahrhundert eine Perspektive und Aufgaben bot, regte sie an, ein kirchliches Fernstudium zu initiieren. Es wurde bei der EKD angesiedelt, wo eine hauptamtliche Kraft eingestellt wurde, die mit anderen kirchlichen Werken und Fachhochschulen zusammen arbeitete. Der Grundkurs dauerte ein Jahr. Wie erwartet, nahmen viele Frauen daran teil, die zu qualifizierten kirchlichen Mitarbeiterinnen wurden und selbst eine erfüllende Tätigkeit fanden.

Auch im Arbeitsbereich Seelsorge gab es weitreichende Veränderungen. Aus Amerika und Holland kamen neue Ansätze für die Seelsorge, das „Clinical Pastoral Training“. Junge Theologinnen und Theologen suchten und besuchten entsprechende Kurse auch in Deutschland. Gertrud Grimme, verantwortlich für diesen Bereich in der EKD, befürchtete, dass dies zu einer wissenschaftlich nicht fundierten Seelsorge führen würde. So nahm sie nach Rücksprache mit der Kanzlei Kontakt mit der Kirchlichen Hochschule Bethel und den von Bodelschwinghschen Anstalten auf, weil in Bethel beides möglich war: Praxisnähe und Wissenschaftlichkeit. So entstand dort nach Zustimmung der Beteiligten (Ev. Kirche von Westfalen, von Bodelschwinghsche Anstalten und EKD) das Seelsorgeinstitut der EKD.

Der dritte Schwerpunkt, der Gertrud Grimme viel Kraft und unzählige, nicht immer erfreuliche Sitzungen gekostet hat, aber schließlich erfolgreich abgeschlossen wurde, war vom Gesetzgeber erzwungen: die Umwandlung der höheren Fachschulen in Fachhochschulen. Viele höhere Fachschulen für Sozialarbeit waren in kirchlicher Trägerschaft, an einigen wurden Gemeindehelferinnen und KatechetInnen ausgebildet. Es war klar, dass unter den neuen Bestimmungen nicht alle erhalten bleiben könnten, aber alle kämpften darum. Es gelang schließlich, alle Träger und Leiter unter dem Dach der EKD zu gemeinsamen Beratungen zusammenzuführen und am Ende gab es eine gemeinsame Studienordnung, die der Rat billigte. Eine Arbeitsgemeinschaft der theologisch-katechetischen Fachbereiche der neuen kirchlichen Fachhochschulen wurde gebildet.

Nach ihrer Pensionierung im Jahre 1974 blieb sie im „Unruhestand“. Im selbsterwählten „Exil“ im Allgäu war sie unermüdlich „pfarramtlich“ tätig, wozu sie selbst sagt: „Die Amerikaner haben für ehrenamtliche Mitarbeit an der Basis, und um eine solche handelte es sich ja, den schönen Ausdruck ‚Graswurzelarbeit‘“ (Grimme 1990: 42). Und auch als sie 1981 nach Westfalen zurückkehrte, war sie nicht untätig, obwohl sie gesundheitlich recht angeschlagen war: „Den Gesprächskreis habe ich fast vier Jahre lang geleitet. Auch den Gottesdienst habe ich öfter übernommen, bis es endlich gelang, eine Stiftsseelsorgerin zu verpflichten. Selbstverständlich vertrete ich sie ab und zu.“ (Grimme 1990: 42).

Reformatorische Impulse

Martin Luther hat großes Gewicht auf den Hausvater und seine Verantwortung für die Hausgemeinde gelegt (vgl. Vorrede zum Katechismus). Gertud Grimme hat wohl in ihrem Leben in vielen Aufgaben- und Lebensbereichen diese Rolle ausgeübt.

Zu der Rolle gehört nach Luther insbesondere die Wertschätzung der Lehre, die Katechese. Sehr treffend, dass das Amt, das sie aufbaute, Katechetisches Amt hieß – erst ein Jahr vor ihrem Weggang wurde es in Pädagogisches Institut umbenannt. Dass Gertrud Grimme sich ihr Leben lang für Katechese einsetzte – bereits bei der Studienwahl dachte sie an eine Lehrtätigkeit – kann wohl als gut reformatorisch bezeichnet werden.

Ihr unerschrockenes Auftreten und das Festhalten an Erkanntem „Hier stehe ich und kann nicht anders“ erinnert an den Reformator, ebenso das Gespür für das, was zu ändern war, vielleicht aber auch ihre Zurückhaltung, sich politisch einzumischen, was sie im Alter selbst kritisch sah (s.u.).

Als begabte Theologin hat sie durch ihren Dienst in verantwortlichen Positionen der Kirche frühzeitig die Fähigkeit von Theologinnen zur Leitung gezeigt und den Weg zur Gleichberechtigung von Pfarrerinnen und Pfarrern in der Kirche gefördert und reformatorisch gewirkt.

Kommentar

“Beim Pfarrer trägt das Amt die Person, bei der Theologin trägt die Person das Amt“. Dieses Bonmot, das Gertrud Grimme nicht selbst geprägt hat, aber als die Sache treffend zitiert (vgl. Grimme 1990: 24) charakterisiert die Theologin Gertrud Grimme in besonderer Weise.

1974, als in ihrer westfälischen Heimatkirche die Gleichstellung für Frauen und Männer im Pfarramt erreicht wurde, ging sie in Pension. Sie selbst ist offiziell nie gleichberechtigt – im Pfarramt – gewesen. Sie konnte nie erleben, was sie von Pfarrern sagt, dass das Amt die Person trägt, dass das Amt qua Amt einen Status bietet, unabhängig von der Person, die das Amt innehat und also manchmal auch schwachen oder unfähigen Persönlichkeiten Status und Ansehen bietet.

Gertrud Grimme konnte mit ihrer eigenen Persönlichkeit, ihren Gaben und ihrem Einsatz die Ämter, die sie innehatte, prägen, selbst gestalten oder sogar ein „Amt“, das Katechetische Amt, aufbauen. Sie war von einer bewundernswerten Aufmerksamkeit für das, was „dran“ war und setzte sich unerschrocken, tatkräftig und erfolgreich ein. Eine gute Freundin sagt von ihr „Sie war ein toller Mensch – zum Ehrfurcht Haben. Aber sie konnte auch direkt und kantig sein“. Ähnlich äußerten sich auch Lehrer und Lehrerinnen, die bei ihr ausgebildet wurden. Sie errang Anerkennung und Ansehen – einen personenbezogenen Status. Sie selbst wusste um ihre Gaben und hatte ein gutes Selbstbewusstsein. Trotzdem klingt in ihren Erinnerungen das Bedauern von Fehlentscheidungen an.

Besonders bewegend ist ein nicht veröffentlichtes handschriftliches Manuskript aus dem Jahr 2000, das der Verfasserin als Kopie vorliegt, in dem Gertrud Grimme Antworten versucht zu finden auf die Frage, die junge Menschen ihr stellten, die sie sich aber wohl auch selbst stellte: warum sie und andere sich in der Nazizeit um das Schicksal der Kirche gekümmert, sich aber politisch nicht engagiert haben, wie z.B. Bonhoeffer. Sie schließt: „Doch der Kampf der Bekennenden Kirche hat mich – und vielleicht nicht nur mich im Nachhinein gelehrt, daß Christen und Amtsträger der Kirche politisch denken und unter Umständen handeln müssen.“

Zum Weiterlesen

H. Erhardt (hrsg. im Auftrag des Konventes Evangelischer Theologinnen): Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen, Neukirchen 2005.

K. Frör (Hg.): Die Evangelische Unterweisung an der Volksschule, 7 Bde., bearb. v. A. Bach u. G. Grimme, 2. Aufl., Dortmund/München 1957.

G. Grimme: Freut euch, ihr lieben Christen. Evangelisches Religionsbuch für die Grundschule mit Bildern von S. Baumann-Senn, Dortmund 1967.

G. Grimme: Von der Vikarin zur Oberkirchenrätin – Der Weg einer engagierten Theologin. Oberkirchenrätin i.R. Gertrud Grimme berichtet über 50 Jahre im Dienst der evangelischen Kirche, in: H. M. Linnemann (Hg.), Theologinnen in der Evangelischen Kirche von Westfalen, Drei Erfahrungsberichte, Bielefeld 1990, 9-43.

G. Grimme: Erinnerungen an den Kampf der Bekennenden Kirche [Ergänzungen zu „Linnemann: Theologinnen in der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld 1990] Kopie des handgeschriebenen Textes aus dem Jahr 2000 bei der Verfasserin des Beitrages.

F. Halfmann (Gesamtplanung): Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des neusprachlichen Mädchengymnasiums Lüdenscheid 1958, Lüdenscheid 1958.

Haus Villigst (Hg.): Flyer: „Haus Villigst und seine Geschichte“.

E. Kreutler: Die ersten Theologinnen in Westfalen, Bielefeld 2007.

K. Othmer-Haake: Gertrud Grimme (*1909). Von der Vikarin zur Oberkirchenrätin – der Weg einer engagierten Theologin, in: A. Pithan (Hg.), Religionspädagoginnen des 20.Jahrhunderts, Göttingen 1997, 118-134.

A. Petereit: „Ich frage, ob der lange Weg nun zuende ist?“ Der Marburger Jubiläumstag, in: Theologinnen. Berichte aus der Arbeit des Konventes Evangelischer Theologinnen in der Bundesrepublik Deutschland 13 (2000), 32-36.

Rundbriefe von Maria Weller, der ersten Vertrauensvikarin der westfälischen Theologinnen, 1934 bis 1947, in verschiedenen Nachlässen, sowie die Akte „Theologinnen“ im Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen in Bielefeld