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Anne Boleyn

Bruch mit dem Papst

Ein Beitrag von Merete Nielsen

Anne Boleyn Copyright: Wikimedia Commons

Lebensdaten:

1501/7 - 1536

Unter weiteren Namen bekannt als:

Anne Pembrok, Anne Rochford


Beziehungen

Das Geburtsjahr Anne Boleyns ist unsicher, aber die meisten Historiker und Historikerinnen neigen zum Jahr 1501. Sie war die Tochter von Sir Thomas Boleyn und seiner Frau Elizabeth Howard. Durch ihre Mutter war sie verwandt mit einem der größten Englischen Adelsgeschlechter, den Herzögen von Norfolk.

1513 wurde sie in den Niederlanden zu der Erzherzogin Margaretha von Österreich gebracht, um an ihrem Hof in Brüssel Französisch zu lernen. Später lebte sie am französischen Hof bei der Königin Claude. So lernte sie die französische Sprache, Hofsitten, Musik und Kunst kennen. Zurück in England trat sie 1522 zum ersten Mal am Hof in einer Maskerade auf. Sie wurde nicht als Schönheit betrachtet, da sie nicht blond war, sondern dunkelhaarig mit schwarzen Augen. Dafür war sie kultiviert, elegant und sehr attraktiv. Zuerst hatte ihr Vater eine Ehe mit James Butler, dem Erbe des irischen Earl von Ormonde für sie geplant. Die Eheverhandlungen wurden jedoch abgebrochen, stattdessen hatte Anne die Möglichkeit einer Liebesheirat mit Henry Percy, dem Sohn des Herzogs von Northumberland. Die Chronologie ist unsicher, aber anscheinend wurde die Verbindung von Heinrich VIII. vereitelt, der Anne unter den Hofdamen seiner Königin, Katharina von Aragon, entdeckt hatte. Heinrich ließ durch seinen ersten Minister, Kardinal Wolsey, dem jungen Percy, der in dessen Haushalt diente, klarmachen, dass sein Vater andere Heiratspläne für ihn hatte, und als seine Autorität nicht ausreichte, um den verliebten jungen Mann einzuschüchtern, ließ er den Vater kommen. Percy heiratete die von seinen Eltern ausgesuchte Erbin, und dem König stand nun nichts mehr im Weg für ein Verhältnis mit Anne.

Doch um Anne zu heiraten, musste er erst geschieden bzw. musste seine Ehe erst annulliert werden. Er hatte schon Liebesbeziehungen mit anderen Frauen gehabt (Elizabeth Blount und die Schwester von Anne, Mary Carey) und vor 1527 hat er wohl nicht an eine neue Ehe gedacht. Laut Starkey 2001 hat er erst Anne gefunden, um dann danach seine Ehe auflösen zu wollen.

Anscheinend hat Anne nie dem Kardinal vergeben, der ihr Liebesglück vereitelt hatte (vgl. Starkey 2001).

Es existiert eine Reihe von undatierten Liebesbriefen des Königs an Anne. Der König bettelte um ihre Gunst, und zum Neujahr 1527 ließ sie ihn mit einem Geschenk wissen, dass sie einer Verbindung nicht abgeneigt sei. Es sollte jedoch eine platonische Liebesbeziehung bleiben, bis eine gültige Ehe, aus dem ein legitimer männlicher Thronfolger hervorgehen sollte, geschlossen werden konnte. Darin waren sich beide einig.

Es war klar, dass der König einen männlichen Thronfolger wünschte und dass seine Königin, Katharina von Aragon, zu alt war, um noch einen Sohn zu gebären. Sie war 1485 geboren, folglich 1527 42 Jahre alt. Sie hatte eine Reihe von Fehlgeburten erlitten, ein Sohn war kurz nach der Geburt gestorben und „nur“ eine Tochter, Mary, war 1516 geboren. Katharina selbst war die Tochter einer machtvollen und fähigen Königin, Isabella von Kastilien. Sie konnte sich Mary als regierende Königin vorstellen und ließ sie entsprechend erziehen. Der König teilte diese Zuversicht nicht. Er versuchte Mary mit dem mächtigsten Regenten der damaligen Zeit, Kaiser Karl V., zu vermählen, aber leider heiratete dieser eine andere. Damit hatte Mary keinen starken Mann an ihrer Seite.

Heinrich hatte zwar einen Sohn, Henry Fitzroy, den er zum Herzog von Richmond machte, aber auch hier fehlte ihm die Zuversicht, dass ein unehelicher Sohn die Krone von England erben konnte und sollte. Der Rosenkrieg war durch seinen Vater überwunden worden, und Henry wollte keinen neuen Bürgerkrieg entfachen.

Anne hatte sehr gute Gründe, die Liebe des Königs zu nutzen, um eine Ehe mit ihm anzustreben. Diese Ehe sollte dann den gewünschten Sohn und Thronerben hervorbringen.

Es war bald klar, dass der König Anne über alles liebte. Sie wurde die erste Dame am Hofe und ihre Verwandten machten Karriere zusammen mit ihr. Ihr Vater wurde schon 1525 Viscount Rochford, 1529 Earl of Wiltshire und Earl of Ormonde und Lordsiegelbewahrer (Lord Privy Seal). Ihr Bruder George wurde 1529 Viscount Rochford nach seinem Vater und auch Anne nannte sich Rochford. 1532 wurde Anne Marquess of Pembroke und wechselte noch einmal ihren Nachnamen. Durch Annes enge Verbindung zum König war die ganze Familie vermögend und einflussreich geworden.

Katharina weigerte sich jedoch, einer Auflösung der Ehe zuzustimmen. Sie wollte ihre Position als Königin nicht aufgeben und vor allem nicht das Anrecht ihrer Tochter auf die Thronfolge. Die Geburt eines ehelichen Sohnes des Königs würde den Verlust dieses Anrechts unweigerlich mit sich führen. Von 1527 bis 1532 kämpfte Katharina mit allen Mitteln, um ihre Königinnenwürde zu behalten. Der König versuchte dagegen, den Papst zu einer Annullierung seiner ersten Ehe zu bringen. Doch Katharina war die Tante des Kaisers Karls V. und der Papst konnte sich nicht erlauben, den Kaiser zu beleidigen.

Kardinal Wolsey wurde als Kanzler entlassen, weil er nicht fähig war, die Ehe aufzulösen. Der Geschäftsführer Wolseys, Thomas Cromwell (ca. 1485-1540) trat dafür in königlichen Dienst. 1532 wurde er Sekretär des Königs und sorgte in den folgenden Jahren dafür, dass Heinrich jeden Wunsch erfüllt bekam.

Ein anderer Neuling am Hofe war der Cambridger Theologieprofessor Thomas Cranmer   (1489-1556), ein Kaplan bei den Boleyns, der eine neue Idee hatte, wie die Annullierung der Ehe herbeigeführt werden konnte: Heinrich hatte immer behauptet, dass die Bibelstelle 3. Mose 20,21: „Wenn jemand die Frau seines Bruders nimmt, so ist das eine abscheuliche Tat. Sie sollen ohne Kinder sein, denn er hat damit seinen Bruder geschändet“ bewies, dass seine Ehe ungültig war. Katharina war früher mit dem älteren Bruder Heinrichs verheiratet gewesen und erst nach dessen Tod hatte sie Heinrich geheiratet. Nun schlug Cranmer vor, die theologischen Fakultäten Europas zu befragen, ob diese Bibelstelle von Heinrich richtig gedeutet war, und mehrere Fakultäten, unter anderem die Sorbonne, gaben ihm recht. Cranmer hatte einen Ausweg gefunden, die Ehe von Heinrich und Katharina für ungültig zu erklären, da sie im Widerspruch mit Gottes Wort geschlossen wurde. 1532 wurde Cranmer zum Erzbischof von Canterbury ernannt, und Heinrich hatte in ihm stets einen treuen Diener.

Zur selben Zeit sorgte Cromwell dafür, dass das Parlament die Oberhoheit Heinrichs über die englische Kirche anerkannte, dass der Papst die Einkünfte aus England verlor und 1533, dass es illegal wurde, an den päpstlichen Stuhl zu appellieren (Restraint of Appeals). Damit konnte Katharina nicht länger an den Papst appellieren. Diese reformatorischen Gesetze wurden Dank Cromwell im Parlament verabschiedet und galten somit als der Wille des Volkes. Tatsächlich gab es kaum Widerstand dagegen. Damit konnte 1533 die erste Ehe Heinrichs in England von Cranmer annulliert, die Ehe mit Anne anerkannt und die schwangere Anne gekrönt werden. Am 7. September 1533 wurde ihre Tochter Elisabeth (ElisabethI. Königin von England und Irland) statt des so sehnlich erwarteten Sohnes geboren.

(Zum Bild: Dieser Ring mit den Abbildungen von Anne Boleyn und Elisabeth I trug Elisabeth bis zu ihrem Tod. Er wurde danach James I überreicht. Elisabeth hat nie über ihre Mutter geredet. Ihr Machtanspruch leitete sie von ihrem Vater her. Dennoch hat sie dieses Andenken an Anne bewahrt; Copyright: http://tudorhistory.org/boleyn/gallery.html).

1534 wurde im ersten Thronfolgegesetz (Act of Succession) Elisabeth als Thronfolgerin anerkannt, während Maria aus der Thronfolge als uneheliches Kind des Königs gestrichen wurde. Der König wurde im selben Jahr in der Suprematsakte (Act of Supremacy) ohne Einschränkung als Oberhaupt der Kirche anerkannt und ein Eid wurde den Untertanen abverlangt.

Um Kritik am König zu unterbinden, beschloss das Parlament 1534 ein Hochverratsgesetz (Treasons Act), der jede kritische mündliche oder schriftliche Äußerung als Hochverrat unter Todesstrafe stellte (früher wurde ein bewaffneter Aufstand als Voraussetzung für Verrat angesehen).

Die Ehe zwischen Heinrich und Anne litt darunter, dass Anne nicht den ersehnten Sohn gebären konnte. Nach der Geburt von Elisabeth erlitt sie zwei Fehlgeburten. Im Januar 1536, kurz nach dem Tod Katharinas von Aragon, verlor Anne anscheinend einen Sohn in der 15. Schwangerschaftswoche. Sie meinte, wenn sie wieder schwanger werde, würde das Kind jetzt zweifelsohne legitim sein, aber der König hatte schon andere Pläne. Die Hofdame Jane Seymour, blond, brav und jünger als Anne, erschien ihm als eine geeignete Gattin. Diese Ehe wollte er nur als Witwer eingehen, um endlich die Thronfolge zu sichern. Jane Seymour wurde von den konservativen katholischen Gruppen am Hof unterstützt.

Eine Scheidung von Anne war nach den traumatischen Ereignissen um Katharina von Aragons Verweigerung der Annullierung keine gute Idee. Anne war jetzt 35 oder 36 Jahre alt und schien dem König nicht geeignet, den erwünschten Sohn zu gebären. Cromwell bekam die Aufgabe, Anne los zu werden. Innerhalb von drei Wochen in Mai 1536 klagte er nicht nur sie, sondern auch eine Reihe von Heinrichs Kammerherren, vor allem ihren Bruder George, des Hochverrats an. Angeblich sollte Anne sich sexuell mit denen abgegeben haben und damit dem König Schaden zugefügt haben, indem die Thronfolge unsicher wurde. Das Hochverratsgesetz wurde auf Anne und die Männer angewandt. Da Anne immer eine scharfe Zunge gehabt hatte und im Gefängnis zu viel vom munteren Leben am Hofe ausplauderte, war ihr Schicksal besiegelt. Am 19. Mai wurde sie im Tower hingerichtet. Zwei Tage vorher waren die Männer enthauptet worden.

Bevor sie hingerichtet wurde, hatte Thomas Cranmer ihre Ehe für ungültig und ihre Tochter für unehelich erklärt und aus der Thronfolge entfernt. Damit entfiel im Grund genommen die Anklage gegen Anne des Ehebruches, aber sie war schon zum Tode verurteilt. Sinn der Annullierung dieser Ehe war dieselbe wie für die erste Ehe des Königs: ihm sollte es möglich sein, einen Thronfolger aus legitimer Ehe zu bekommen. Cranmer hatte vorher Heinrich einen Brief geschrieben, in welchem er meinte, er habe Anne hoch geschätzt und könne nicht begreifen, dass sie im Sinne der Anklage schuldig sei. Er füge sich jedoch dem Willen des Königs. Das hat er denn auch weiterhin gemacht und hat überlebt.

Die Historiker und Historikerinnen streiten immer noch über die Hintergründe, die zu ihrem Tod führten. Die meisten sind sich einig, dass Anne die Männer nicht als Liebhaber hatte. Wurde sie als Hexe wegen ihrer Fehlgeburt angesehen (vgl. Warnicke)? Waren es eher politische Intrigen, die sie zu Fall brachten (vgl. Ives, Starkey 2001)? War der König, der eine andere Ehe eingehen wollte, der hauptverantwortliche Akteur eines Komplotts (vgl. Fraser)?

Wirkungsbereich

Der Historiker David Starkey (1986) hat eindrucksvoll beschrieben, wie die Machtstrukturen am Hofe Heinrichs gestaltet waren. Da nur der Monarch durch seine Unterschrift Entscheidungen treffen konnte, war es möglich, Einfluss zu gewinnen, indem man den Informationsfluss lenkte und auf den König einwirken konnte. Seit 1515 hatte Kardinal Wolsey unbegrenzten Zugang zum König gehabt, als jedoch Anne die Geliebte Heinrichs wurde, hatte sie das Ohr des Königs. Starkey ist überzeugt, dass sie es war, die den Kardinal nach seinem Misserfolg mit der königlichen Scheidung stürzte.

Um den König herum zu seiner persönlichen Pflege und Aufwartung waren Kammerherren. Auch sie konnten den König beeinflussen. Anne sorgte dafür, dass dieser Hofstaat mit Männern besetzt war, die zu ihr standen, vor allem ihr Bruder George, seit 1529 Viscount Rochford, und ihr Vetter Francis Bryan. Im Reichsrat hatte sie ihren Vater, den Earl of Wiltshire und – zumindest zeitweilig – die Herzöge von Suffolk und von Norfolk, ihre Onkel, auf ihrer Seite.

Diese Machtposition nutzte sie unter anderem dazu, Stellen in der Kirche zu besetzen. Eine ganze Reihe von Bischöfen war zurückgetreten oder gestorben und Anne sorgte dafür, dass reformeifrige Theologen diese Stellen bekamen.

Der kaiserliche Botschafter, Chapuys, nannte sie eine Lutheranerin. So konfessionell war ihr Glaube wohl nicht ausgerichtet, aber sie war eine Humanistin und von der humanistischen Prägung des französischen Hofes beeinflusst. Man hat diskutiert, inwieweit sie von Margrethe von Navarra (damals noch Herzogin von Alençon) gelernt hat. Zur Zeit von Annes Aufenthalt bei der Königin Claude liegen jedoch keine schriftlichen Zeugnisse von Margrethe hinsichtlich ihres Glauben vor. Das muss allerdings nicht heißen, dass Margrethe zu dem Zeitpunkt ihre evangelischen Sympathien noch nicht erworben hatte. Eine andere königliche Frau, die später die Reformation unterstützte, war die Schwester der Königin Claude, Renata von Frankreich. In dieser Hofmilieu hatte Anne die Möglichkeit, intelligente und gebildete Frauen kennenzulernen, die Humanisten wie Erasmus und Lefèvre d´Etaples unterstützten und lasen. Lefèvre hatte schon vor Luther die Rechtfertigungslehre gelehrt. Er war in den zwanziger Jahren dabei, Übersetzungen und Kommentare zur Bibel zu verfassen, was ihn in Konflikt mit der katholischen Kirche brachte. Margrethe von Navarra schützte ihn am Hofe und gewährte ihm am Ende seines Lebens Asyl in Nérac. So konnte er friedlich sterben.

Anne beschaffte sich französische Bücher, vor allem die Werke von Lefèvre, und ihr Bruder George unterstützte sie. Er übersetzte sogar den Kommentar zu den Evangelien und den neutestamentlichen Briefen von Lefèvre auf Englisch, damit auch ihre Hofdamen das Werk lesen konnten. Foxe berichtete in seinen „Acts and Monuments“ (1563), dass Anne eine englischsprachige Bibel – vermutlich die Übersetzung des Neuen Testaments von Tyndale aus dem Jahr 1534 – in ihren Gemächern für ihre Hofdamen ausgelegt hatte.

Thomas Cranmer wurde von der ganzen Familie Boleyn unterstützt. Später, als Erzbischof von Canterbury, hat er langsam aber beharrlich die englische Reformation vorangetrieben, und im Book of Common Prayer ihr eine wunderschöne Liturgie gegeben.

Einer ihrer Kapläne war Matthew Parker, der später unter Elizabeth zum Erzbischof von Canterbury ernannt wurde.

Außer den Theologen half sie auch nach Kräften den Buchimporteuren, wenn sie in Schwierigkeiten wegen ihrer reformatorischen Schriften gerieten.

Das einflussreichste Buch, das sie las und dem König weiterreichte, war von William Tyndale: Vom Gehorsam eines Christenmenschen (The Obedience of a Christian Man), in welchem Tyndale die Oberhoheit des Königs über die Kirche theologisch begründet. Dieses Buch war natürlich von Luther und der Fürstenreformation in Deutschland inspiriert. Heinrich VIII. war von dem Gedanken, er müsse sich dem Papst nicht fügen, sondern könnte in seinem Herrschaftsgebiet selbst entscheiden, begeistert.

 

Anne Boleyn in der Kunst

Es gibt zahlreiche Bücher und Filme zu Anne Boleyn. Ihre Liebesgeschichte und ihr tragisches Schicksal haben Verfasser und besonders Verfasserinnen sowie auch Filmproduzenten inspiriert.

Maxwell Anderson schrieb 1948 das Schauspiel „Anne of  the Thousand Days“. 1969 wurde der Film gedreht mit Richard Burton und Geneviève Bujold, auf Deutsch: „Königin für tausend Tage“. Richard Burton, der sonst so gute Schauspieler, gab eine blasse Darstellung Heinrichs.

Philippa Gregory hat eine Reihe von Büchern verfasst, einige sind auch als Film erschienen: „The other Boleyn Girl“ – „Die Geliebte des Königs“ mit Natasha McElhone und Jodhi May, und „Die Schwester der Königin“ mit Scarlett Johansson, Natalie Portman und Eric Bana als Heinrich VIII.

Heinrich ist der Mittelpunkt in „Henry VIII“ von 2003. Anne Boleyn wird von Helena Bonham Carter gespielt.

Schließlich kann man das Historienspektakel „The Tudors“ erwähnen, das sehr unterhaltsam, leider meistens historisch fehlerhaft daherkommt. Positiv ist jedoch, dass Personen wie Kardinal Wolsey und Thomas Cromwell gut und überzeugend dargestellt werden, vor allem aber glänzt Nathalie Dormer in der Rolle als Anne.

Meistens sind sowohl Historiker/innen wie Verfasser/innen sich einig, dass die Anklage wegen Unzucht, Inzest und Ehebruch absurd war. Eine Interessante Ausnahme ist jedoch Hilary Mantel, die in ihrer dreibändigen Cromwell-Biographie „Wolf Hall“ und „Bring up the Bodies“ (London 2009 & 2012), auf deutsch „Wölfe“ und „Falken“, die Ereignisse aus dem Sicht Cromwells schildert und deshalb behauptet, die Anklage – und deshalb auch die Strafe – seien vollkommen berechtigt. Der letzte Teil ist noch nicht erschienen.

Reformatorische Impulse

Der wichtigste Beitrag zur Reformation in England, den Anne leistete, war ohne Zweifel die Trennung Englands vom päpstlichen Stuhl. Damit entstand in England eine Nationalkirche, die in den kommenden Jahrzehnten sich definieren sollte. Dass Anne und ihre Familie die treibende Kraft für diesen Schritt war, steht außer Zweifel. Heinrich VIII. war ein guter Katholik, der nicht viel für Luther oder seiner Lehre übrig hatte, aber er konnte sich nicht damit abfinden, dass der Papst ihm seinen Wunsch nach Wiederheirat und Thronerbe verweigerte. Hätte der Sohn von Katharina aus dem Jahr 1511 überlebt, wäre die Reformation in England, wenn sie überhaupt Fuß gefasst hätte, vermutlich ganz anders verlaufen.

Um diese Annullierung zu erlangen, unterstützte die Familie Boleyn zukünftige Reformatoren wie Thomas Cranmer und Hugh Latimer. Latimer wurde 1535 Bischof von Worcester und starb auf dem Scheiterhaufen als einer der Oxford Märtyrer – wie auch Cranmer – 1555 unter Maria Tudor. Diese und andere von Anne geförderten Theologen sollten in den nächsten Jahren die Reformation vorantreiben.

Kommentar

Anne wurde von Chapuys als Hure bezeichnet, denn er ergriff für Katharina von Aragon Partei. Die Bevölkerung sprach von „the goggle-eyed whore“ („Die Hure mit den Kulleraugen“) des Königs, gleichzeitig war Katharina eine beliebte Königin gewesen. Anne verdankte ihren Aufstieg ihrer Fähigkeit, sich sexuell zu verweigern. Dennoch wurde sie als Konkubine angesehen.

Der Zauber, den Anne ausübte, beruhte auf ihrem Charme. Solange sie sich dem König verweigerte, hatte sie Macht und Einfluss. Als die beiden endlich heiraten konnten und sie die einzige Aufgabe hatte, einen Sohn und Thronfolger zu gebären, scheiterte die Ehe. Da der König, verwitwet von Katharina von Aragon, jetzt endlich einen legitimen Erben haben wollte, ließ er sie hinrichten, weil er keine Scheidung wünschte. Mit Anne sollte es endgültig Schluss sein, selbst ihr Ruf wurde vernichtet.

Anne war eine ehrgeizige Frau, die wenn nötig, die Waffen einer Frau benutzte – und zwar sehr geschickt. Moderne Historiker (vgl. Ives, Starkey) sehen in ihr vor allem die Politikerin. Ives hebt auch ihr Kunstinteresse hervor.

Es war ihre Tragödie, dass die weibliche Biologie ihr Schicksal wurde.

Einer ihrer Verehrer, der Dichter Thomas Wyatt, war im Bell tower im Tower of London wegen Verdacht auf Unzucht mit ihr eingesperrt. Er überlebte, weil Cromwell ihn schützte, aber seinem Entsetzen über die vielen Hinrichtungen gab er Ausdruck in diesem Gedicht:

„These bloody days have broken my heart.

My lust, my youth did then depart,

And blind desire of estate.

Who hastes to climb seeks to revert.

Of truth, circa regna tonat.      

 

The Bell Tower showed me such a sight

That in my head sticks day and night.

There did I learn out of a grate,

For all favour, glory or might,

That yet, circa regna tonat.”

Zum Weiterlesen

A. Fraser: The Wives of Henry VIII, New York 1993.

E. W. Ives: The Life and Death of Anne Boleyn: The Most Happy, Malden, Mass. 2004.

D. MacCulloch: Thomas Cranmer: A Life, London/New Haven 1996.

D. MacCulloch: Reformation, Europe´s House Divided 1490-1700, London 2003.

M. Nielsen: Marguerite d´Angoulême 1492-1549 (Margarete von Navarra), in: reformiert-info.de (online zugänglich unter:http://www.reformiert-info.de/4598-0-65-4.html; Zugriff am 02.12.2014).

D. Starkey: The Reign of Henry VIII: Personalities and Politics, London 1986.

D. Starkey: Six Wives: The Queens of Henry VIII, London 2001.

E. Taddei: Renee de France, Herzogin von Ferrara, www. Calvin.de, EKD.

R. Warnicke: The Rise and Fall of Anne Boleyn: Family Politics at the Court of Henry VIII, Cambridge 1989.